Der Diskurs Hass im Netz versus Menschenrechte



NEUSTART führt seit Jänner 2018 ein Projekt mit den Namen "Dialog statt Hass" durch. Die Anzahl der Delikte zum Thema Verhetzung, im Speziellen in Sozialen Medien, steigen kontinuierlich. Bei den Personen, die zu NEUSTART von Staatsanwält*innen und/oder Richter*innen zugewiesen werden, ist folgendes Phänomen zu beobachten: "Wird der 'anonyme Bildschirm' durch den Dialog mit Menschen, die ihnen gegenübersitzen, ersetzt bzw. erweitert, kann der Hass dem Dialog weichen, so unterschiedlich die Standpunkte der Gesprächspartner*innen auch bleiben."


Bei der Bearbeitung des Themas Hass im Kontext von Menschenrechten zeigt sich, dass Hass als Phänomen vor allem gegenüber vulnerablen Gruppen, Journalist*innen und Aktivist*innen auftritt.


Die Forschungsfrage, die im Rahmen des Projektes bearbeitet werden soll, ist, welche spezifische Methodik durch Sozialarbeiter*innen in der Organisation NEUSTART anwendet wird und welches Know-how diese benötigen, um Menschenrechte in den sozialen Medien zu sichern.


Die Methodik des Projektes wird auf einem zirkulären Forschungsprozess basieren. Hierbei sind folgende Optionen möglich: Narrative Interviews mit Personen, die wegen § 283 Strafgesetzbuch ("Verhetzung") zu NEUSTART zugewiesen wurden, Teilnehmende Beobachtung an diversen Gruppenangeboten, Aktenstudium und Materialanalyse mit Hilfe den Akten zugrunde liegenden Dokumentationsnotaten, Interviews mit den Projektmitarbeitenden anderer Modellstandorte, die sich mit dem Thema Hass im Netz beschäftigen.


Auch für Sozialarbeiter*innen ist es von großer Relevanz, ihre Methoden in Bezug auf soziale Medien einer Reflexion und Evaluation – im Kontext von gesellschaftlichen Phänomenen – zu unterziehen.


Kurzfilm „Stimmen gegen Hass im Netz”

Das Bundesministerium für Inneres verwendet den Kurzfilm für Ausbildungszwecke von Polizist*innen. Außerdem verwendet der Verein „Respect.lu“, der seinen Sitz in Luxemburg hat, den Film ebenfalls in seiner Präventionsarbeit.

Symposium anlässlich des Tages der Kriminalitätsopfer 2020

Copyright: Orhan Maglajlić

Cyber-Verbrechen verletzen real

„Die Bandbreite der Cyber-Delikte reicht von Datenbeschädigung, Datenfälschung und betrügerischem
Datenverarbeitungs-missbrauch bis zu Beleidigung, Betrugsdelikten, Cyber-Mobbing oder Cyber-Grooming. Mit über zehntausend Anzeigen jährlich wird Cybercrime immer mehr zu einem zentralen Thema der Strafverfolgung. Zahlreiche Organisationen arbeiten daran, das Thema greifbar zu machen und Maßnahmen zur Bekämpfung zu entwickeln. Im Rahmen des Symposiums wurden zwei Projekte präsentiert.“

Dana Pajković, NEUSTART und FH St. Pölten, und Antonia Dangl, Studentin FH St. Pölten, präsentierten den Zwischenbericht zu einem studentischen Projekt, das Hass im Netz auf zwei Arten thematisiert – einerseits in Form von Abschlussarbeiten und andererseits im Rahmen eines Filmprojekts. Im Filmprojekt zivile Held*innen — Stimmen gegen Hass im Netz wurden Stimmen zivilgesellschaftlicher Vertreter*innen gesammelt, um daraus einen Kurzfilm zu entwickeln.
Nikolaus Tsekas, Leiter NEUSTART Wien, stellte das Programm Dialog statt Hass vor: NEUSTART hat in Zusammenarbeit mit der Justiz als rationale, sozial konstruktive Antwort auf die aktuelle Herausforderung im Bereich der Hasskriminalität ein passendes Interventionsangebot entwickelt.“ Das Programm Dialog statt Hass richtet sich an Täter*innen und soll für Themen der Diskriminierung sensibilisieren, Unrechtsbewusstsein schaffen, zu Reflexion und in der Folge zu Verhaltensänderung führen.

Endbericht des Projekts

Hass im Netz ist ein Phänomen und Problem in unserer Gesellschaft, dass uns alle betrifft. Individuelle und kollektive Gewalttaten gibt es auch auf offener Straße, die sich zuvor in der virtuellen Welt angekündigt haben, z.B. der terroristische Akt von Hanau, der Mord an dem hessischen CDU-Politiker Walther Lübcke, der Mord an dem Bürgermeister von Danzig Pawel Adamowicz, das Attentat von Christchurch, usw.

Bei jeglicher Form der Gewalt versagt die Ich-Kontrolle. Sich gegen jede Form von Gewalt zu entscheiden, setzt beim Ich die Fähigkeit voraus, „Nein“ sagen zu können. Kinder und Jugendliche lernen das Nein-Sagen und das Widersprechen spätestens im Zuge ihrer Adoleszenz in der Auseinandersetzung mit ihren Eltern und der Gesellschaft. Dieses bedeutet differenzieren zu können, analysieren zu können, gehorsam sein zu können, aber sich auch ungehorsam zeigen zu können.

Um eine Gewalttat zu verhindern, braucht es Zivilcourage. Aus dem theoretischen Verständnis heraus kann Zivilcourage als sublimierte Form der Aggression verstanden werden. Parin (1988:17ff) meint dazu, dass dies auch bedeutet, halten zu können, dass man selbst mit Affekten von Hass konfrontiert werden kann. Aggression ist die Grundlage von Zivilcourage und Zivilcourage ist als sublimierte Form der Aggression zu verstehen. (vgl. Schraml 1968:191).

Ziel des Projektes war, dass sich die Studierenden und angehenden Sozialarbeiter*innen auf einer zivilgesellschaftlichen Ebene mit dem Thema Hass im Netz im Bereich der Prävention, Beratung und Betreuung auseinandersetzen. Unter unserer Leitung haben die Studierenden eine Kampagne „Stimmen gegen Hass im Netz“ erarbeitet. Dabei ist ein u.a. ein Kurzfilm entstanden, der zum Nachdenken und Sensibilisieren, im Rahmen von Präventionsarbeit, anregen möchte. An diesem Film haben folgende Personen teilgenommen: Sigi Maurer, Andreas Peham, Alfons Haider, Manuel Ruby, Nora Deinhamer, Marika Lagger-Pöllinger Ingrid Brodnig, Natascha Kampusch, Nikolaus Tsekas, Klaus Schwertner und Dina Nachbauer. Mittlerweile wird der Kurzfilm zu Schulungs,- und Ausbildungszwecken bundesweit bei der Polizei verwendet. Das von der gemeinnützigen Organisation SOS-Radikalisierung verwaltete Zentrum gegen Radikalisierung „Respect.lu“ arbeitet in seiner Präventionsarbeit ebenfalls mit dem Kurzfilm.

Literatur:
- Parin, Paul (1988): Ziviler Ungehorsam: Der psychoanalytische Gesichtspunkt. In: Werkblatt 16/17, Zeitschrift für Psychoanalyse und Gesellschaftskritik,
Heft 5 (3/4), Salzburg, pp. 17 – 34
- Schraml, Walter (1968): Einführung in die Tiefenpsychologie. Klett Cotta Verlag, Stuttgart

Bachelorarbeiten der Studierenden

Befekadu, Tomas / Haschka, Wolfgang (2020): Hatte Adorno doch Recht?- Eine Analyse des autoritären Denkmusters in der heutigen Gesellschaft und der Bezug zur Sozialen Arbeit. Bachelorarbeit, St. Pölten.

Bugnar, Barbara (2020): Gewalt an Frauen im Internet. Bachelorarbeit, St. Pölten.

Dangl, Antonia (2020): Die neu(e)n Gebote – Eine Handlungsanleitung für den Umgang mit Diskriminierung und Hate Speechim Internet. Bachelorarbeit, St. Pölten.

Hausmann, Natasa / Langstandlinger, Ines (2020): Projekt: „Stimmen gegen Hass im Netz“. Bachelorarbeit, St. Pölten.

Kirchbaum, Lukas (2020): Die extreme Mitte – Wie rechtsextreme Inhalte ihren Weg in die politische und gesellschaftliche Mitte
finden. Bachelorarbeit, St. Pölten.

Mushumbusi, Edwin (2020): Die Entwicklung der rechtsextremistischen Einstellung bei Frauen. Bachelorarbeit, St. Pölten.

Reichartzeder, Jonathan (2020): Hass im Netz: Rassistisch motivierte Postings auf Facebook. Bachelorarbeit, St. Pölten.

Tanzer, Isabel (2020): Die Hurenkinder gehören alle abgeschoben! – Hass im Netz als Beispiel der Demonstrationen
Favoriten. Bachelorarbeit, St. Pölten.

Weber, Sabine (2020): Liebe > Hass. Bachelorarbeit, St. Pölten.

PartnerInnen
  • Verein NEUSTART
Laufzeit
29.09.2019 – 29.06.2020
Projektstatus
abgeschlossen