Erziehungsanstalt Kirchberg am Wagram


Zwei ehemalige Zöglinge bei Videoaufnahmen mit dem ORF

Das hinter dem ehemaligen Gerichtsgebäude der Gemeinde Kirchberg am Wagram gelegene historische Gebäude, das im Ort immer als "Gefängnis" präsentiert wurde, war im Verlauf seiner Geschichte laut Aussagen von Zeitzeugen eine der schrecklichsten Erziehungsanstalten Österreichs. Nach der Schließung als Erziehungsanstalt wurde es überwiegend im Originalzustand belassen und vorübergehend als Akten-Archiv des Bundes benutzt. Mittlerweile steht das Gebäude vollständig leer. Im Sommer 2017 wurde es als Projektraum für Künstler anlässlich des NÖ-Viertelfestes genutzt. Eine darüber hinausgehende Nutzung ist unklar.


Die Geschichte der Bundeserziehungsanstalt Kaiserebersdorf und ihrer Außenstelle Kirchberg am Wagram sind eng verknüpft mit wichtigen Professionalisierungsschritten der Professionen Sozialpädagogik, Sozialarbeit und Kinder- und Jungendpsychologie. Die Einführung von Casework, group counceling im österreichischen Justizwesen sind eng verbunden mit den Personen Sepp Schindler und Dr. Otto Wilfert, welche in leitenden Funktionen Reformschritte gesetzt haben.


Details zur Verbindung vom eigentlichen Ort Kirchberg und den Aspekten der Erziehungs- bzw. Straf- und Vollzugskonzepte sind bis zum heutigen Datum weitgehend unbearbeitet und unerforscht.


Ein Projekt zur Dokumentation und Aufarbeitung der gesamten Historie in diesem Kontext ist einerseits ein Beitrag Zeitzeugen zu Wort kommen zu lassen und andererseits ein Beitrag dazu, die Frage nach einer weiteren Verwendung des Gebäudes für die Zukunft zu beantworten. Hierzu bieten sich neben den Analysen von Dokumenten die Formen der Sozialraumforschung an, die mit partizipativen Methoden den Anschluss zwischen Vergangenheit und Zukunft herstellen.


Sieg bei der Projektevernissage 2018


Bei der Projektevernissage 2018 wurde das Projekt als bestes Einreichung in der Kategorie Soziale Arbeit ausgezeichnet.


Ausgangssituation

In der niederösterreichischen Gemeinde Kirchberg am Wagram befindet sich hinter dem ehemaligen Gericht ein Gebäude, das im Ort als „Gefängnis“ bekannt ist. Es wurde im Jahr 1912 unter Kaiser Franz Josef erbaut und diente in der Kriegs- und Nachkriegszeit als Gefangenenlager. Ab den 1930er Jahren wurde es zur Außenstelle der Bundeserziehungsanstalt Kaiserebersdorf. Die Grundlage für eine Unterbringung in der Bundeserziehungsanstalt war § 2 des Bundesgesetzes über die Behandlung junger Rechtsbrecher (Jugendgerichtsgesetz) vom 18. Juli 1928:

„Begeht ein noch nicht Achtzehnjähriger eine mit Strafe bedrohte Handlung und hängt das damit zusammen, dass es ihm an der nötigen Erziehung fehlt, so trifft das Gericht, unabhängig davon, ob er bestraft wird oder nicht, die zur Abhilfe erforderlichen, den Umständen angemessenen vormundschaftlichen Verfügungen […] Es kann ihn unter anderem unter Erziehungsaufsicht stellen oder in eine Bundesanstalt für Erziehungsbedürftige verweisen. […]“

(Österreichische Nationalbibliothek Jugendgerichtsgesetz von 1928 § 2 o.A.)

In der Zeit des zweiten Weltkrieges diente die Bundesanstalt für Erziehungsbedürftige in Kaiserebersdorf als Jugendgefängnis, ab 1945 wieder als Erziehungsanstalt. Eine Verlegung Jugendlicher von Wien in die Außenstelle nach Kirchberg am Wagram sei als Druckmittel und Strafmaßnahme eingesetzt worden. Im Jahr 1974 wurden beide Einrichtungen geschlossen. „Kaiserebersdorf“ wurde ab 1975 als Strafvollzugsanstalt (heutige Justizanstalt Wien-Simmering) weitergeführt. Die Außenstelle in Kirchberg am Wagram wurde nach der Schließung überwiegend im Originalzustand belassen, zwischenzeitlich als Akten-Archiv des Bundes genutzt und steht mittlerweile leer. Im Sommer 2017 wurde das Gebäude als Projektraum für Künstler*innen anlässlich des NÖ-Viertelfestes genutzt. Eine darüberhinausgehende Nutzung ist unklar.

Die Geschichte der Bundeserziehungsanstalt Kaiserebersdorf und ihrer Außenstelle Kirchberg am Wagram sind eng verknüpft mit wichtigen Professionalisierungsschritten der Professionen Sozialpädagogik, Sozialarbeit und Kinder- und Jungendpsychologie. Die Einführung von Casework, Group Counselling im österreichischen Justizwesen sind eng verbunden mit den Personen Sepp Schindler und Dr. Otto Wilfert, welche in leitenden Funktionen Reformschritte gesetzt haben. Details zur Verbindung vom eigentlichen Ort Kirchberg und Aspekten der Erziehungs- bzw. Straf- und Vollzugskonzepte sind weitgehend unbearbeitet und unerforscht.

Auftrag und Zielsetzung

Anfang des Jahres 2017 beschloss das Department Soziales der FH St. Pölten ein Lehrforschungsprojekt zur ehemaligen Außenstelle der Erziehungsanstalt in Kirchberg am Wagram durchzuführen. Siegfried Tatschl, Andreas Neidl und Christina Engel-Unterberger sollten als Projektleiter*innen elf Studierende beim Verfassen ihrer wissenschaftlichen Abschlussarbeiten im Rahmen ihres Bachelorstudiums begleiten.

Die Projektleiter*innen entschieden sich dazu, dass Thema aus mehreren Perspektiven, nämlich aus dem Blickwinkel ehemals betroffener Jugendlicher, aus der Perspektive des Sozialraums und vor dem Hintergrund der Profession und damals im Umfeld der Erziehungsanstalt tätiger Personen, zu betrachten.

Abb. 1 Forschungsperspektiven

In allen drei Perspektiven sollten Zeitzeugen zu Wort kommen, um einen Beitrag zur Dokumentation und Aufarbeitung der Geschehnisse rund um die Erziehungsanstalt Kirchberg am Wagram zu leisten.

Projektplanung und Methoden

Im Juni 2017 wurden den Studierenden alle zur Auswahl stehenden Projekte vorgestellt – die Zuteilung erfolgt nach dem First-Come-First-Serve Prinzip über eine Online-Anmeldung. Nachdem die Zusammensetzung der Forschungsgruppe feststand, wurden die Studierenden in einer ersten Online-Phase aufgefordert, ihre bisherigen Forschungserfahrungen zu reflektieren. Diese Reflexionsergebnisse wurden im Zuge der ersten Präsenzeinheit am Beginn des Wintersemesters aufgegriffen. Darüber hinaus fand eine Begehung der ehemaligen Erziehungsanstalt direkt in Kirchberg am Wagram statt. Die Studierenden berichteten retrospektiv, dass diese Erfahrung vor Ort in Kirchberg für sie in der Orientierungsphase im Projekt eine wichtige Bedeutung hatte. Als nächsten Schritt setzten sich die Studierenden in Kleingruppen mit vorausgewählter Literatur zum Thema, etwa Goffmans Analysen zu Totalen Institutionen, Disziplinierungsformen nach Foucault bzw. einer Studie zu Gewalt in Erziehungsheimen der Stadt Wien auseinander. Es wurden die drei Forschungsperspektiven eingeführt und jeweils diskutiert, welche Fragen sich auf Basis der Erkenntnisse aus der Literatur, daraus ableiten ließen. Die Studierenden erarbeiteten in drei Kleingruppen Grobkonzepte zu den jeweiligen Forschungsperspektiven. Diese Grobkonzepte enthielten bereits eine Beschreibung der Ausgangslage sowie eine thematische Strukturierung der Forschungsperspektive. Daraus leiteten die Studierenden erste Forschungsfragen und mögliche methodische Zugänge ab. Ab diesem Zeitpunkt wurde die Funktion der Projektleiter*innen in erster Linie begleitend und coachend angelegt, kürzere Inputs zur Auswertungsmethode, zum Verfassen persönlicher Reflexionen o.ä. rundeten die darauffolgenden Präsenzeinheiten ab. Highlights im Forschungsprozess stellten die beiden öffentlichen Veranstaltungen dar. Die erste fand im Jänner 2018 an der FH St. Pölten statt. Im Zuge der sog. „Projektevernissage“ werden jährlich Lehrforschungsprojekte aller Departments vor den Vorhang geholt. Die Darstellung der Forschungsgruppe wurde von der Jury hoch bewertet und errang in der Kategorie „Soziale Arbeit“ den Sieg. Diese stärkende Rückmeldung in Kombination mit der Tatsache, das Projekt an dieser Stelle erstmals öffentlich als „ihr“ Projekt zu repräsentieren, war für die Dynamik in der Gruppe und für die Identifikation der Studierenden mit dem Projekt äußerst förderlich. Die Initiative für die zweite öffentliche Veranstaltung ging von einer Studierenden aus, die einen Beitrag zur Diskussion der Ergebnisse mit Fachkräften und somit einen Beitrag zur Dissemination der Ergebnisse leisten wollte und als Bachelorarbeit ein entsprechendes Veranstaltungskonzept erstellte. Die Veranstaltung fand am 24. Mai 2018 in Kirchberg am Wagram statt und rundete – gemeinsam mit den darauffolgenden Bachelorprüfungen und der Sponsion – das Projekt ab.  

 

Bachelorarbeiten

Kontakt

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FH-Dozentin
Lehrgangsleiterin Mental Health (akad.)
Lehrgangsleiterin Mental Health (MA)
Lehrgangsleiterin Mental Health (zertif.)
Department Soziales
Arbeitsplatz: B - Campus-Platz 1
M: +43/676/847 228 558
Externe Projektleitung
Siegfried Tatschel
Laufzeit
29.09.2017 – 31.05.2018
Projektstatus
abgeschlossen