Partizipation im Sinne von aktiver Teilhabe und Mitwirkung unterschiedlicher Anspruchsgruppen ist im Hochschulkontext ein aktuelles Thema. Die Etablierung einer lebendigen Partizipationskultur und -praxis wird hier durch Innovationsfreude und Forschungsgeist befördert, während gleichzeitig hierarchische Strukturen, dicht getaktete Studienstrukturen oder auch eine stark ausgeprägte Bewertungskultur Hindernisse für gelingende Partizipation darstellen können.
Dieses einjährige Projekt, an dem elf Studierende und zwei Lehrende beteiligt waren, hatte zum Ziel, die bestehende Partizipationspraxis näher zu untersuchen. Im Mittelpunkt stand dabei die Frage nach den Partizipationserfahrungen von Studierenden und Hochschulangehörigen.
Gemeinsame Ausgangsbasis
Das Projekt orientierte sich an der Definition von Straßburger und Rieger, die Partizipation als die Möglichkeit, an Entscheidungen mitzuwirken und Ergebnisse zu beeinflussen, definieren. Das Modell der Partizipationspyramide von Straßburger und Rieger bildete den theoretischen Hintergrund für viele Bachelorarbeiten.
Die gemeinsame empirische Basis bildeten eine in der ersten Projekthälfte durchgeführte Online-Umfrage, eine Gruppendiskussion und die Analyse relevanter Artefakte wie der Satzung der betreffenden Hochschule.
In der zweiten Projekthälfte wurden insgesamt sieben Bachelorarbeiten verfasst, davon zwei Gruppen- und fünf Einzelarbeiten. Fünf der Arbeiten beschäftigten sich mit dem Thema Partizipation im Hochschulkontext.
Bachelorarbeiten aus dem Forschungs- und Entwicklungsfeld Hochschule
Das Pilotprojekt „Partizipieren, probieren?!“ beschreibt die interdisziplinäre Vernetzung von Studierenden als „Sprungbrett“ für weitere mögliche Partizipationsprozesse an der Fachhochschule (FH) St. Pölten. In Anlehnung an das österreichweite Modell "Studieren Probieren" ermöglicht „Partizipieren, Probieren?!“ die Teilnahme an Lehrveranstaltungen anderer Studiengänge. Im Anschluss an die Testdurchführung analysierte das Projektteam mittels Interviews bzw. Fragebögen, wie sich die Motivation zur Teilnahme an Partizipationsprozessen verändert hat. Ähnlich dem FH-weiten Modell der "Hospitation" für Lehrende könnte „Partizipieren, probieren?!“ die studiengangsübergreifende Vernetzung auch für Studierende systematisch fördern. Die Autor*innen fassten ihr Konzept in Form eines Leitfadens zusammen und stellen diesen der FH St. Pölten für die Weiterentwicklung der Idee zur Verfügung.
Die Arbeit beschäftigt sich mit der Frage, wie Partizipation an der FH St. Pölten von FLINTA*-Personen erlebt und wahrgenommen wird, um Barrieren und Ressourcen in Bezug auf Partizipation von FLINTA*-Personen zu identifizieren. Die Datenerhebung erfolgte in Form von Erzählcafés und Interviews, die sich an Studierende und Beschäftigte der FH St. Pölten richteten. Die Ergebnisse wurden in einem Radiobeitrag aufbereitet, der live auf Campus & City Radio St. Pölten ausgestrahlt wurde und online abrufbar ist.
Die Arbeit untersucht die Einsatzmöglichkeiten von Online-Beteiligungsplattformen in der Hochschulentwicklung am Beispiel der Curriculumsentwicklung an der FH St. Pölten. Mittels systematischer Literaturrecherche wurden Partizipationsmodelle und kontextuelle Rahmenbedingungen diskutiert. In weiterer Folge wurden die drei Plattformen "adhocracy+", "socialpinpoint" und "LENIE" ausgewählt und ein Testkonzept entwickelt, um deren Einsatz im Zuge der Curriculumsentwicklung zu erproben. Die Untersuchung zeigt, dass Online-Plattformen direkte Beteiligung in unterschiedlichen Formen ermöglichen und Vernetzungsmöglichkeiten bieten. In Anlehnung an das Modell der Partizipationspyramide (Straßburger/Rieger) empfiehlt die Autorin der FH St. Pölten insbesondere den Einsatz der Plattform "adhocracy+", um partizipative Prozesse im Hochschulkontext zu verbessern und digitale Lösungen für die Mitgestaltung voranzutreiben.
Die Bachelorarbeit beschäftigt sich mit den Erfahrungen von Studierenden mit Deutsch als Zweitsprache im Studiengang Soziale Arbeit an der FH St. Pölten. Zur Datenerhebung wurden zwei leitfadengestützte Interviews mit Studierenden durchgeführt, die mit der Methode des offenen Kodierens ausgewertet wurden. Die Interviews zeigten, dass die betroffenen Studierenden mit vielfältigen Herausforderungen konfrontiert sind. Dazu gehören die Einarbeitung in wissenschaftliche Themen, das Verfassen wissenschaftlicher Texte und die Bewältigung schriftlicher Prüfungen. Die Ergebnisse verdeutlichen die Wichtigkeit einer reflektierten Auseinandersetzung mit diesen Herausforderungen sowie die Unterstützung durch Mitstudierende, Lehrende und institutionelle Maßnahmen der FH St. Pölten, wie die studentische Peer-Beratung (Peers4You).
Diese Arbeit untersucht mit Hilfe des Theoriekomplexes der Self-Determination-Theory und der Theory of Planned Behavior den Einfluss des sozialen Kontextes der ÖH an der FH St. Pölten auf die intrinsische Motivation der Studierenden und Aktiven, sich ehrenamtlich zu engagieren. Unter Verwendung der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring wurden drei leitfadengestützte Interviews mit ÖHler*innen sowie die Kommunikation der ÖH in sozialen Netzwerken (Facebook, Instagram) analysiert.
Bachelorarbeiten aus dem Forschungs- und Entwicklungsfeld Soziale Arbeit
Die Bachelorarbeit beschäftigt sich mit dem Thema Partizipationsmöglichkeiten einer Jugendlichen mit selbstverletzendem Verhalten, deren Betreuungsbiographie in Fremdunterbringungen durch Beziehungs- und Betreuungsabbrüche gekennzeichnet ist. Die Untersuchung wurde als partizipative Aktionsforschung angelegt. Für die Datenerhebung wurde das sozialdiagnostische Instrument des biografischen Zeitbalkens mit dem Modell der Partizipationspyramide kombiniert, um in einem gemeinsamen Analyseprozess mit der Jugendlichen die Partizipationserfahrungen zu analysieren.
Die Arbeit untersucht die Partizipationsmöglichkeiten in einer Nachsorgeeinrichtung des Maßnahmenvollzuges. Der Übergang in ein selbstbestimmtes Leben nach einer Phase der Fremdbestimmung im Maßnahmenvollzug kann für viele Betroffene eine Herausforderung darstellen. Der Autor wird analysieren, wie sich sowohl die Bewohner*innen als auch die Mitarbeiter*innen der Nachsorgeeinrichtung an Entscheidungsprozessen beteiligen können und welche Auswirkungen dies auf die Selbstbestimmung der Klient*innen hat.
Verbreitung der Ergebnisse
Wir freuen uns, dass die Ergebnisse an der FH St. Pölten auf großes Interesse gestoßen sind, sowohl auf der Ebene der Kollegiumsleitung als auch auf der Ebene des Studiengangs Soziale Arbeit und der Serviceeinrichtungen der FH. Darüber hinaus hatten drei Projektmitglieder bereits die Möglichkeit, Ergebnisse aus dem Projekt im Rahmen der 4. internationalen Tagung des Hochschulnetzwerks Persönlichkeitsbildung "Persönlichkeitsentwicklung - so what? Studierende, Hochschule und Praxis im Diskurs" in Düsseldorf zu präsentieren. Katharina Weber, Elisa Decker und Christina Engel-Unterberger gestalteten dort einen Workshop mit dem Titel: "Studierendenpartizipation - mehr als nur ein Buzzword? Erfahrungen aus einem Forschungs- und Entwicklungsprojekt mit Studierenden zum Thema Partizipation an Hochschulen". Die Veranstaltung bot eine wertvolle Plattform für den Austausch von Ideen und Erfahrungen.
Das Projekt hat gezeigt, dass Partizipation an Hochschulen ein wichtiges und komplexes Thema mit unterschiedlichen Dimensionen und Herausforderungen ist. Die Ergebnisse der Bachelorarbeiten tragen dazu bei, die Partizipationskultur an der FH St. Pölten und darüber hinaus weiterzuentwickeln und die aktive Teilhabe der Studierenden bzw. Nutzer*innen der Sozialen Arbeit zu fördern. Die Projektleitung bedankt sich bei allen Beteiligten für ihr Engagement und freut sich auf weitere Forschungs- und Entwicklungsprojekte zu diesem Thema.