VR Story

Die Untersuchung von 360° VR für literarische Stoffe und Konzeption eines theatralen Genres 

(MARCUS JOSEF WEISS)
Künstlerische Ausgangshypothese des Forschungsprojektes war, dass sich Sinnhaftigkeit sowie inhaltlicher und ästhetischer Nutzen des 360°VR-Mediums für das Theater wirkungsvoll auf Grundlage einer spezifischen Literaritiät abbilden lassen. Diese Experimente, so die Hypothese, hätten das Potenzial, das Theater um eine Dimension erlebbarer Erzählmuster und Inszenierungsformen zu erweitern.

Hierfür gab es zwei bestimmende Parameter. Einen formalen und einen inhaltlichen.

  1. Auf formaler Ebene wurden Grundlagentexte herangezogen die in literarisch gestalteter Berichtform verfasst und deren Erzählperspektive dadurch stets durch die eigene Subjektivitiät gefiltert ist. Die Variabilität und Schwankung der Rezension (gleichzeitig zentraler Baustein der literarischen Faszination) steht in direkter Analogie zu den Erfahrungsspektren von angewandter XR Technologie.
  2. Auf inhaltlicher Ebene sind alle Grundlagentexte von der selben dramatischen Prämisse geleitet. Sowohl ‘Der Fall’ (Albert Camus) als auch ‘Homo Faber’ (Max Frisch) als auch ‘Die Dämonen – Stawrogins Beichte’ (Fjodor Dostojewski) beschreiben in hochgradiger psychologischer Präzision, die Suche des Protagonisten nach vergebender Erlösung und führen das empfindende Subjekt in den Bewusstseinszustand der Metanoia, der tiefsten und unmittelbar erlebbaren Reue im Angesicht des Todes.

Eine vereinheitlichende literarische Prämisse könnte zusammengefasst werden als: Unabhängig vom Verdrängungsgrad der Schuld, ist die Strebung von Wesen und Bewusstsein zur Selbstreinigung unausweichlich.

Die ersten Experimentreihen haben zu der Erkenntnis geführt, dass für die Umsetzung und Einbindung der ‘Subjektiven Brille’ in theatrale Formen, die ästhetischen und inhaltlichen Theorien des Expressionismus des 20. Jahrhunderts (in dieser Kontextualisierung) eine wertvolle Referenz bilden.

Die Gesamt-Evaluierung dieser ersten Erkenntnisse, schlug sich in dem Fragment ‘Nachtgerüche’ nieder, welches in Kooperation mit dem Volkstheater Wien beim Festival ‘Die Kunst der Nachbarschaft’ uraufgeführt wurde. Das Festival selber, wurde daraufhin mit dem Dorothea-Neff-Sonderpreis für grenzüberschreitende Theaterarbeit ausgezeichnet.

Darauf aufbauend wurde der Fokus auf die experimentelle Planung, Dramatisierung und Umsetzung der postulierten Erzählmuster und Inszenierungsformen gelegt.

Das daraus resultierende Experiment, ist ein vollständig dramatisierter und inszenierter theatraler Prototyp, mit dem Titel ‘ÆON’, welches am 31. Mai auf der Hauptbühne des Volkstheater Wien uraufgeführt wurde.

Es scheint sinnvoll, den Entwicklungsporzess von ÆON sowohl aus dramatischer als auch aus inszenatorischer Perspektive zu beleuchten:

Überlegungen zur Dramatisierung von „Der Fall“

(AUTORENSTATEMENT)

  • Die 360° Bühnenfassung untersucht das dramatische Potential der räumlichenInteraktion.
  • Die eng gewundene Triebfeder des Protagonisten gewinnt (potenziell) anAusdruckskraft, wenn der – in der ursprünglichen Textfassung von Camusmännlich portraitierte Protagonist Johannes Clamans – zu einer weiblichen Figurumgestaltet wird.
  • Wir nennen sie: Johanna Clamans, ehemalige Staranwältin in Paris, wohnhaftam Place Saint Michel, taucht nach einem traumatischen Ereignis, das ihr perfektinszeniertes, gutbürgerliches Selbstbild zerstörte, in einem AmsterdamerEdelbordell unter, um dort ihrer nunmehr neugewählten Mission zu folgen:Doppelmoral entblößen. Eine Figur, mit einem ungewöhnlichen und sehr hohenKonfliktpotenzial.
  • Die Unverzeihbarkeit der eigenen Schuld und der gewählte Mechanismus derSelbsterniedrigung, um die Lebenslüge einer narzisstischen männlichen Welt zuentspiegeln, scheint mir eine faszinierende und überraschende Idee, die dieserGeschichte in vielen Bereichen eine spannende Aktualität verleihen könnte, ohneihre inhaltliche oder emotionale Ausdruckskraft zu schädigen.