Bedrohung und Selbstbehauptung: Jugendliche mit Fluchterfahrung in der NS-Zeit und heute.
Hintergrund
Flucht vor Verfolgung, Krieg, Armut oder Naturkatastrophen ist ein wiederkehrendes Thema in der Geschichte der Menschheit. Besonders tragisch sind die Schicksale unbegleiteter, flüchtender Jugendlicher, da sie zu den verletzlichsten Gruppen zählen. Trotz unterschiedlicher Fluchtursachen teilen sie häufig ähnliche Erfahrungen – ein Umstand, der in den politischen Debatten und der medialen Berichterstattung jedoch oft nicht genügend Beachtung findet.
In diesem Projekt definieren wir „Jugendliche“ als Personen im Alter zwischen 14 und 21 Jahren, was sowohl juristisch als auch sozialwissenschaftlich der Entwicklungsphase der Adoleszenz entspricht. Diese Lebensphase ist geprägt von der Identitätsfindung und der oft stark durch äußere Einflüsse beeinflussten Loslösung von den Eltern. Jugendliche auf der Flucht machen daher zwei Transformationsprozesse durch: die adoleszente Entwicklung und migrationsbedingte Veränderungen.
Projektinhalt und Forschungsfragen
Im Projekt vergleichen wir mit Methoden der Sozial- und Geschichtswissenschaften die Fluchtbewegungen österreichisch-jüdischer Jugendlicher in der NS-Zeit mit den heutigen Fluchtbewegungen junger Menschen im Alter von 14 bis 21 Jahren nach Österreich. Zu beiden Gruppen und ihren jeweiligen Kontexten werden, auch unter Einbeziehung von geschlechterspezifischen Unterschieden, dieselben Forschungsfragen gestellt:
- Welche Organisationen, Netzwerke und Maßnahmen ermöglichten allein flüchtenden Jugendlichen die Ausreise?
- Aus welchen Gründen wurden welche Routen gewählt und wie verlief die Reise?
- Wie verlief das Ankommen im Exilland, welche bürokratischen Hürden mussten, überwunden werden, und wie gestaltete sich die Anpassung an die neue Umgebung und die Aufnahmegesellschaft?
- Wie wurden und werden die Belastungen der Fluchterfahrung erlebt und verarbeitet?
- Wie wird der Kontakt mit der Familie und die Erinnerung an das Herkunftsland aufrechterhalten?
Ziele
Das Hauptvorhaben des Projekts ist die vergleichende Betrachtung der Lebenslagen und Handlungsstrategien geflüchteter Jugendlicher in den zwei unterschiedlichen Fluchtperioden von 1938 bis 1945 und von 2015 bis 2023. Wir arbeiten mit Schüler*innen, die als Citizen Scientists fungieren, zusammen und verfolgen untenstehende Teil-Ziele:
- Bewusstmachung der historischen Konstante „Flucht“ am Beispiel der NS-Zeit und der Gegenwart.
- Erweiterung der Kenntnisse zum Thema Flucht mit Fokus auf Aspekte wie Organisation, Strategien, Netzwerke, Abreise, den Fluchtvorgang selbst sowie das Ankommen und das Einleben im Ankunftsland.
- Mehr Hintergrundwissen zu den Erlebnis- und Erfahrungswelten flüchtender und geflüchteter Jugendlicher, auch unter Berücksichtigung geschlechterspezifischer Gesichtspunkte.
- Einblicke wie der Abschied verarbeitet wird, welche Coping-Strategien flüchtende Jugendliche während der Flucht anwenden, wie sie gut sie sich in der neuen Umgebung einleben, wie sie Kontakt mit Familie und Herkunftsland halten, und wie sie Erinnerungen konstruieren.
- Einblick in interdisziplinäre und partizipative Forschung.
- Verknüpfung von Methoden aus den Geschichts- und Sozialwissenschaften mit einem Fokus auf Digital Humanities (Nutzung computergestützter Verfahren und digitaler Ressourcen in den Geistes- und Kulturwissenschaften).
- Erwerb von kritischer Medienkompetenz im Umgang mit Fake News und Desinformation zum Thema Flucht und Migration.
Methode
Im ersten Teilprojekt beantwortet ein Team aus Historiker*innen des Instituts für jüdische Geschichte Österreichs oben genannten Forschungsfragen. Im zweiten Teilprojekt werten die Sozialwissenschaftler*innen des Ilse Arlt Instituts für Soziale Inklusionsforschung an der FH St. Pölten Interviews mit seit 2015 nach Österreich geflüchteten Jugendlichen aus.
Die Forschungsarbeit mit den Schüler*innen erfolgt in angeleiteten Workshops an der Partnerschulen. Die Schüler*innen werden darüber aufgeklärt, warum die vergleichende wissenschaftliche Auswertung autobiographischer Quellen aus der NS-Zeit und der Gegenwart wichtig ist und mit der sozialwissenschaftlichen Methode des biographischen Interviews sowie mit historischen und sprachwissenschaftlichen Methoden vertraut gemacht. Mit diesem Rüstzeug ausgestattet agieren sie als Citizen Scientists und arbeiten selbst an eigenen Fragestellungen, die in die vergleichende Forschungsarbeit integriert werden. Ein positiver Nebeneffekt ist zudem, dass die Einbettung der jugendlichen Schicksale in die ältere und jüngere Geschichte den Blick für aktuelle Thematik Flucht und Migration schärft.
Alle Daten werden in eine digitale Plattform eingetragen und stehen nach Projektende frei zur Verfügung (Open Access). Mit den Daten können Vergleiche gezogen, Querverbindungen hergestellt, und Inhalte miteinander verknüpft werden. Außerdem liefern sie die Grundlage für digitale Erzählformate (Digital Storytelling). Die Ergebnisse werden vom gesamten Team über wissenschaftliche Kanäle verbreitet. Darüber hinaus gestalten die Schüler*innen eine Podcast-Serie für das Campus-Radio der FH St. Pölten und betreuen einen Informationsstand beim jährlichen „Fest der Begegnung“ am St. Pöltner Rathausplatz.
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Lehrgangsleiterin Suchtberatung und Prävention (akad.)
Lehrgangsleiterin Suchtberatung und Prävention (MA)
Lehrgangsleiterin Suchtberatung und Prävention (zertif.)
Weiterbildungsverantwortliche Department Soziales
Researcher Ilse Arlt Institut für Soziale Inklusionsforschung
Mitglied des Kollegiums 2023 bis 2026
Department Soziales
Benjamin Grilij
- Injoest
- BiGS St. Pölten - Caritas Bildungszentrum für Gesundheits- und Sozialberufe, NÖ