Selbst.verständlich

Ein Projekt zur Sicherung von beruflichem Wissenserwerb und Informationstransfer in leicht verständlicher Sprache.

Hintergrund

Eine in Deutschland durchgeführte Studie ergab, dass rund 40 Prozent der Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter die Schriftsprache unzureichend beherrschen. 15 Prozent erreichen überhaupt nur das schriftsprachliche Niveau A1, was funktionalen Analphabetismus entspricht. Da sich diese Ergebnisse auf Österreich übertragen lassen, kann davon ausgegangen werden, dass der schriftliche Wissenserwerb für einen erheblichen Anteil der Arbeitnehmer*innen und Arbeitssuchenden schwierig, für manche nahezu unmöglich ist. Dies ist ein ernstzunehmendes Handicap in einer Gesellschaft in der der Austausch von Informationen und der elektronische Schriftverkehr eine tragende Rolle spielen. Die Sprachbarriere führt zu Missverständnissen und Fehlern und erschwert es neue Kenntnisse zu erwerben. Das kann das Selbstvertrauen untergraben und gesundheitliche Folgen haben. Zudem schwächt es die Position als Arbeitssuchender oder führt gar zu einem Ausschluss vom Arbeitsmarkt.

Projektinhalt

Die Verständlichkeit von Informationen ist für eine Vielzahl betrieblicher Abläufe von großer Relevanz. Unterschiede im Sprachniveau zwischen den Verfasser*innen von Informationsmaterialien und denen für die sie gedacht sind führen oft zu Verständigungsschwierigkeiten bzw. -lücken. Dies betrifft Sicherheitsanweisungen, Betriebsanleitungen von Maschinen und Werkzeugen, Lehrmaterialien, Hausordnungen, Verhaltensregeln, Dienstverträge, Arbeitsdokumentationen, Datenschutzvereinbarungen, Betriebsratsnachrichten und vieles mehr. Das Projekt selbst.verständlich widmete sich Lösungsansätzen, um diese Lücke zu verkleinern und sprachliche Hürden abzubauen. Vorrangiges Ziel war es Arbeiternehmer*innen mit Informationen in leicht verständlicher Sprache gut zu erreichen und sicher zu stellen, dass diese beruflich relevantes Wissen erwerben. Dabei geht es um Barrierefreiheit in der Information und Kommunikation, gerade auch in Bezug auf Arbeitnehmer*innen mit Behinderungen. Konkret wurden die relevanten Informationen in leichter, und damit für alle verständlicher Sprache  verfasst und auf einer Desktop- und Smartphone-App – teilweise unterstützt durch Bild- und Tonmaterial – unkompliziert verfügbar gemacht. Die Umsetzung in die Praxis  wurde durch die FH St. Pölten wissenschaftlich begleitet.

Ziele

selbst.verständlich wurde vom sozialen Unternehmen LANDSCHAFTSPFLEGE umgesetzt und von der FH St. Pölten dabei wissenschaftlich begleitet. Das Projekt unterstützte unter anderem Arbeitnehmer*innen mit Sprach-, Lern- oder Leseschwächen, indem es berufsrelevante Inhalte und Informationen aus den Betrieben zielgruppengerecht auf digitalen Kanälen (Apps für Desktop und Smartphone) zur Verfügung stellte. Arbeitnehmer*innen erhielten somit einen niedrigschwelligen Zugang zu Information und Wissen. Neben dem Erwerb von Fähigkeiten und Qualifikationen, welche neue Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt oder innerhalb eines Betriebes eröffnen, zielte das Projekt auch auf die Stärkung gesellschaftlicher Inklusion ab, wollte Erfolgserlebnisse ermöglichen und als Folge auch Selbstvertrauen und Selbstwirksamkeit steigern. Darüber hinaus sollten Multiplikatoreneffekte – also eine über das Projekt hinausgehende Verbreitung des entwickelten Prototypen und der gewonnenen Erkenntnisse – erzielt werden.

Methodik

Die Inhalte und Hilfestellungen wurden per App über ein Smartphone bzw. über frei zugängliche Screens im Unternehmen zugänglich gemacht. Das Sprachniveau der selbst.verständlich App entspricht durchgängig dem Level A2. Die Smartphone-Variante der App liest auch auf Maschinen und Geräten angebrachte QR Codes aus und liefert entsprechende Informationen zu Bedienung, Sicherheitsaspekten und Vorschriften. Gemeinsam wurden Inhalte diskutiert und abgeklärt, Informationen übersetzt und auch Videoinhalte produziert. Mit den Nutzer*innen und Schlüsselkräften wurde über ihre Erwartungen und Erfahrungen gesprochen, daraus Schlüsse gezogen und entsprechende Anpassungen vorgenommen; alles mit dem Ziel die Entwicklung und Nutzung laufend auf die Bedürfnisse abzustimmen. Dafür wurde auch auf das Wissen externer Expert*innen für einen inklusiven Arbeitsmarkt zurückgegriffen.

Ergebnis

Die in der Begleitforschung gewonnenen Erkenntnisse zeigen, dass die App ein hilfreiches Tool für die Einführung in (oder die Auffrischung von Wissen aus) Arbeitsanleitungen ist und das  Verständnis von Arbeitsverträgen etc. verbessert. Als äußerst hilfreich hat sich dabei die integrierte Vorlesefunktion erwiesen, die vor allem bei Leseschwierigkeiten/Analphabetismus bzw. Dialekt-Verständnis-Schwierigkeiten unterstützend wirkt. Zudem erhöht die App das Verständnis von arbeitsrechtlichen Zusammenhängen und von den Erfordernissen eines spezifischen (Transit-)Arbeitsplatzes (Warum bin ich hier, wozu dient das, welche Perspektiven gibt es?). Im betrieblichen Kontext von LANDSCHAFTSPFLEGE wurde die App nicht täglich genutzt, sondern vor allem bei der Einführung in eine neue Arbeit und hinterher nur, wenn Bedarf bestand. Die Beachtung unterschiedlicher Lerntypen bzw. –vorlieben stellte sich dabei als wichtig heraus, es zeigt sich allerdings auch, dass die App persönliche Unterstützung lediglich ergänzen, aber nicht ersetzen kann.

Die umfassende Vorbereitungszeit und die Einbeziehung von Mitarbeiter*innen und Nutzer*innen in die Entwicklung bzw. Befüllung der App hatten eine positiven Effekt. Partizipation und Kommunikation haben als generelle betriebliche Themen dadurch an Bedeutung gewonnen und wurden gestärkt. Auch Fragen der Beteiligung wurden über den Prozess der App-Entwicklung hinaus wurden zur Sprache gebracht und sind stärker in den Fokus der Organisation gerückt.

Die Bedeutung verständlicher Kommunikation für alle Beteiligten in den Vordergrund zu stellen, wurde auch im Hinblick auf die Vermeidung von Stigmatisierungsprozessen, als relevant erkannt. Dabei hat sich im Zuge des Projekts die Bezeichnung „verständliche und klare Sprache“ als hilfreicher im Vergleich zum teilweise als stigmatisierend wahrgenommenen üblichen Wording „Leichte Sprache“ herausgestellt. Eine Erfahrung, die in die entsprechenden Fach-Communities und Netzwerken zu leichter Sprache eingebracht und dort weiterverfolgt werden sollte.

Generell wurde die große Bedeutung von Kommunikation für Inklusion am Arbeitsplatz deutlich bestätigt. Entsprechende weitere Projekte zum Einsatz verständlicher Sprache sollten daher als Maßnahme bekannter gemacht und ausgebaut werden.

Eine Ausrollung des Konzepts ist zu empfehlen. Zusätzlich braucht es weitere Maßnahmen zur Verstärkung betrieblicher Mitsprache und Beteiligung, auch für Transitarbeitskräfte und eine Forcierung gesamtgesellschaftlicher Maßnahmen zur sprachlichen Inklusion.

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FH-Dozentin
Department Soziales
Arbeitsplatz: B - Campus-Platz 1
M: +43/676/847 228 554
PartnerInnen
  • LANDSCHAFTSPFLEGE (Lead)
  • Verein Kulturlandschaft Schmidatal
Finanzierung
AK NÖ (Projektfonds Arbeit 4.0)
Laufzeit
01.07.2020 – 31.10.2021
Projektstatus
abgeschlossen
Beteiligte Institute, Gruppen und Zentren
Ilse Arlt Institut für Soziale Inklusionsforschung