Untersuchung von Buchillustrationen mittels maschinellem Lernen.
Hintergrund und Projektinhalt
Das Stift Klosterneuburg ist seit mehr als 900 Jahren ein religiöses und kulturelles Zentrum. Im Mittelpunkt des vorliegenden Projekts steht die Amtszeit des Propstes Stephan von Sierndorf (erste Hälfte des 14.Jahrhunderts), in der viele hochwertige Kunstwerke wie Tafelbilder, Glasfenster, Goldschmiedekunst und Buchilluminationen entstanden sind. Wir wollen klären, ob sich diese kreative Blütezeit auch in den Verzierungen (d. h. fleuronnée) der Handschriften widerspiegelt und ob es möglich ist, Verbindungen zu den großen Zentren der Handschriftenproduktion in dieser Zeit (wie Paris und Bologna z.B.) und zwischen verschiedenen mittelalterlichen Klöstern herzustellen.
Fleuronnée bezeichnet ein Ornament aus der Buchmalerei, das meist aus stilisierten Blatt- und Blumenformen sowie naturalistischen, figurativen oder geometrischen Motiven besteht. Angefertigt wurden sie oft mit einem Stift, und die verwendeten Hauptfarben sind Rot und Blau, Violett, Grün und Gold. Aufgrund der großen Anzahl von Handschriften und der darin enthaltenen Fleuronnée, wäre es sehr aufwendig sie über die herkömmlichen Werkzeuge aus der Stilkritik und Kunstgeschichte zu untersuchen. Aus diesem Grund wenden wir Methoden der künstlichen Intelligenz an und versuchen so eine kunsthistorische Neueinordnung der Handschriften und ihrer Ornamente.
Ziele
Es ist davon auszugehen, dass die Buchproduktion und auch der Erwerb von Büchern planvoll und gezielt erfolgte und von den kulturellen Aktivitäten der Zeit geprägt war. Das bedeutet aber auch, dass sich über die Untersuchung der Ornamente (Fleuronnée) in den Büchern Rückschlüsse über die historischen Hintergründe ziehen lassen. Wir wollen herausfinden, inwieweit Text und Ornamentik zusammenhängen, ob Muster und Trends in den Ornamenten erkennbar sind, ob organisatorische Abläufe nachgezeichnet und Verbindungen zu anderen Klöstern und deren Bibliotheken sichtbar gemacht werden können. Unser methodisches Rüstzeug umfasst Computer Vision und künstliche Intelligenz. Wir suchen den gesamten Korpus (Schriftstücke und Sammlungen) nach Fleuronnée ab und klassifizieren sie, wenn möglich, nach den Kriterien Stil, Zeit, Herkunft und Urheber*in ("Florator"). Außerdem wenden wir Software-tools an, die Ähnlichkeiten zwischen den Ornamenten erfassen. Damit lassen sich stilprägende Verbindungen zwischen zugekauften und selbst erstellten Handschriften identifizieren.
Methoden
Um ein tieferes Verständnis über die klösterliche Buchproduktion und Bibliothekskultur zu erlangen, sind eine historische Einordnung und Erkenntnisse darüber, wie Wissen organisiert wurde, unerlässlich. Besonderes Augenmerk in den Untersuchungen gilt Personen, die als Förderer, Leser, Schreiber, Illustratoren, Buchproduzenten auftraten, sowie alle jene, die sich mit dem Aufbau von Buchsammlungen beschäftigten. Die Quellen, die für die Untersuchungen herangezogen werden, umfassen Rechnungsbücher, prosopographische Daten (Lebensgeschichten, soziale Beziehungen, und biografische Daten einer spezifischen Gruppe) Urkunden, Einträge in Büchern oder die Korrespondenz im Umfeld der Klöster.
Im technischen Part des Projektes wenden wir exploratives Prototyping für die Entwicklung von Algorithmen zur Erkennung, Segmentierung und stilbasierten Ähnlichkeitsschätzung an. Derzeit stehen keine maschinellen Lernmethoden für eine stilbasierte Klassifizierung mittelalterlicher Federzeichnungen zur Verfügung. Um nicht bei Punkt Null zu beginnen, erproben wir daher verschiedene Methoden der visuellen Erkennung, Klassifizierung und Autorenidentifikation für die wir als Datenbasis von Menschen erstellten Skizzen verwenden. Um zu einer praktikablen Lösung zu kommen, werden die ausgewählten Methoden in einem iterativen Prozess schrittweise modifiziert und verbessert.
Ergebnisse
Zu Beginn des 14. Jahrhunderts leitete der damalige Probst des Stiftes Klosterneuburg Stephan von Sierndorf eine für das Kloster enorm produktive Phase ein, die eine große künstlerische Kreativität in vielen Bereichen (Tafelmalerei, Goldschmiedekunst, Glasmalerei, hochrangige Buchmalerei, Architektur) entfaltete. Die Nachwirkungen dieser Blütezeit jedoch, und welchen Niederschlag sie auf die Wissensorganisation und die Buchproduktion hatte, ist wenig untersucht. In dem vorliegenden Projekt setzen wir neuen Methoden des maschinellen Lernens ein, um eine umfassende Untersuchung der in dem schriftlichen Material enthaltenen Ornamente durchzuführen. Damit wird es möglich die Netzwerke zwischen den Klöstern und die Verbreitungswege von Wissen sichtbar zu machen und ein tieferes Verständnis dafür zu gewinnen, auf welchem Fundament unsere heutige Wissensgesellschaft steht. Die Projektergebnisse gehen über den hier untersuchten Zeitraum und Ort hinaus und liefern Methoden, die auch auf andere Sammlungen mittelalterlicher Handschriften angewendet werden können.
Fördergeber
- Stift Klosterneuburg